August in Schottland

Der schottische August: Mieses Wetter! Midges! Menschenmassen! Eigentlich müsste man den Leuten vom Hochsommer ja abraten – wäre da nicht: Festival! Festival! Festival!

Festival time @ Royal MileGleich neun Festivals auf einmal bietet Edinburgh im August, wobei das Fringe eindeutig das sichtbarste ist. Zwei Millionen Menschen kommen in die Stadt, gefühlt die Hälfte davon steht auf der Bühne – oder verteilt Zettel auf der Royal Mile, um die eigene Show zu bewerben. Alles was ein Dach hat, wird zum Theater umfunktioniert, egal ob Keller oder Kirche, Hinterzimmer oder Hörsaal. Und wo kein Dach ist, wird eben ein Zelt aufgebaut. 299 Spielorte kommen so zusammen.

Rund 50.000 Aufführungen gibt es innerhalb von drei Wochen. Das heißt: Programm fast rund um die Uhr. Wer möchte, kann morgens um 11 mit The Addams Family in der General Assembly Hall (dem Parlament der Church of Scotland) starten, anschließend geniale Akrobatik im Bauch einer auf dem Rücken liegenden lila Kuh anschauen, direkt weiter in die Gewölbe unter der South Bridge zu einem Musical über Schlangen in einem Flugzeug, dann vielleicht etwas Jazz in einer alten Adventisten-Kirche und zum Ausklang zur Burlesque-Show mit anschließendem Tanz bis in die Puppen im total berühmten Spiegelzelt. (Ulrichs wesentlich pünktlicher publizierte und chronologisch korrektere Übersicht unserer kulturellen Highlights gibt’s hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.)

Schottland unter WasserEs macht also nix, wenn’s ab und an mal regnet, man hat ja meist ein Dach über dem Kopf. Was in den Cairngorms hingegen leider nicht funktioniert. Okay: Wer nach Schottland fährt, rechnet mit Regen. Aber dass gleich alles unter Wasser steht?! Das ist beim Wandern ganz schön hinderlich – und auch beim Zugfahren: Der Verkehr auf der Highland Line war zwischenzeitlich komplett eingestellt, was uns eine eineinhalbstündige Taxifahrt an die Westküste bescherte, da lässt sich ScotRail nicht lumpen.

Shieldaig CroftersDort kamen wir dann doch noch zu einigen herrlichen (und nicht zu nassen) Wanderungen, unter anderem rund um Shieldaig: Das 85-Seelen-Nest am Nordrand der Halbinsel Applecross hat einen der aussichtsreichsten Zeltplätze Schottlands (nun: Schafweide mit Zugang zum öffentlichen Klo) und ein kleines Hotel, dessen Bar zu den 50 besten Gastro-Pubs Großbritanniens zählt. Die Jakobsmuscheln, handgesammelt im Meer direkt vor der Tür und kurz mit Knoblauch und Weißwein gebraten, sind weit, weit weg von all den miesen Klischees, die hierzulande über die britische Küche verbreitet werden.

Morar CoastEine echte Neuentdeckung ist die Morar Coast: Südlich von Mallaig reiht sich weiße Sandbucht an weiße Sandbucht, dahinter Dünen und eine von den Gletschern rundgeschliffene Hügellandschaft mit traumhaften Zeltplätzen. Die Strände sind trotzdem fast menschenleer. Muss an den Temperaturen liegen. Auch wir verlegten uns eher aufs Kraxeln von Bucht zu Bucht denn aufs Baden.

Dank der Nähe zum Fährhafen Mallaig ist Morar zudem eine perfekte Basis für Ausflüge zu den Small Isles. Montags ermöglicht der Fahrplan beispielsweise einen Tagestrip auf die Isle of Eigg: Das Inselchen hat 83 Einwohner, die ihr Eiland im Jahr 1997 für 1,5 Millionen Pfund vom privaten Landlord gekauft haben (einer der ersten Community Buyouts in Schottland) und seitdem über das Land, auf dem sie leben, selbst bestimmen.

Isle of Eigg FerryDer Zusammenhalt und Ideenreichtum dieser kleinen Gemeinschaft ist überall spürbar: Seit wenigen Jahren läuft Eigg beispielsweise zu hundert Prozent auf erneuerbaren Energien (die Insel hängt nicht am britischen Netz, früher hatte jedes Haus einen Dieselgenerator). Bei der Craft & Produce Fair montags in der Village Hall gibt’s Kaffee, Kuchen, Kunst und Krempel sowie selbstgebackenes Brot und Orangenmarmelade (deren Hauptzutat vermutlich importiert wird). Und wenn am Spätnachmittag das Schiff kommt, treffen sich alle im kleinen Shop-Post-Office-Pub am Fähranleger.

Weg auf An SgurrEigg hat zudem einen sehr seltsamen Berg, An Sgùrr, der vom Dorf aus unbesteigbar scheint, via Rückseite aber leicht zu erklimmen ist – was ihn zum perfekten Wanderziel für ein paar Stunden Inselaufenthalt macht. Zur Belohnung gibt’s Basaltsäulen (naja, aus Pechstein) für den Geographen, für alle anderen einen großartigen Rundblick auf fast die gesamte Westküste, auf Skye, Rùm, Muck, Coll und wie alle die Hebriden so heißen.

Nach 20 Jahren Schottlandreisen sind wir zudem erstmals auf die Rennstrecke namens West Highland Way gegangen – allerdings nur für drei Etappen und in der falschen Richtung: Camping @ Loch LomondEntlang der nur Wanderern zugänglichen östlichen Bonnie Banks of Loch Lomond, von Ardlui nach Balmaha. Einsame Wildnis ist das nicht, alle paar Minuten kommen einem kleine Grüppchen meist deutscher und meist sehr junger Wanderer entgegen, zumindest wenn man wie wir von Nord nach Süd geht. Aber: Die Banks sind wirklich unglaublich bonnie, es gibt herrliche Plätzchen zum Zeltaufstellen und am Ende der Tour ist man quasi schon in Glasgow, die Stadt, die bis heute von vielen so fahrlässig unterschätzt wird.

People Make GlasgowAber, ich werde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen: Glasgow ist großartig. Gerade das wilde Nebeneinander von prachtvollen Sandsteinfassaden, Art-Deco-Perlen, 50er- und 60er-Bausünden und mutiger moderner Architektur macht Spaziergänge durch die Stadt so unterhaltsam. Die Museen vom viktorianischen Kelvingrove Art Gallery and Museum (Großbritanniens meistbesuchtes Museum außerhalb Londons) bis zum nagelneuen Riverside Museum in den ehemaligen Docks am Clyde bieten Besuchsstoff für mehrere Wochen. Die hochgradig kreative Gastronomie (beispielsweise Stravaigin) ist ein Fest für Foodies. Und nicht zu letzt die Eingeborenen: Die Glaswegians sind manchmal zwar rau und laut, empfangen einen aber eigentlich fast immer offen und herzlich – so man sie versteht.

Nun: August in Schottland mag manchmal anstrengend, nass und voll lästiger Fliegeviecher sein. But things aren’t always as bad as they seem. Selbst das wechselhafte Wetter hat schließlich einen Vorteil: Licht! … wie das ebenfalls stark verspätete Schottland-2014-Album auf Flickr beweist. Enjoy!

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